TRANSFORMATION BRAUCHT FRAUEN

„Mit einem halben Team gewinnen wir nicht!“


Von Hanna Wilsker

Im Frühling 2007 geschah es in Osukuru im Osten Uganda zum ersten Mal: Der starke Regen hörte und hörte einfach nicht auf. Immer mehr Wasser sammelte sich in den Straßen, überflutete Felder und riss Häuser mit sich. Die Menschen in dieser Region hatten zuvor noch nie eine Überflutung erlebt. Doch seit 2007 kamen erst der Starkregen und dann die Dürren immer öfter.

Die meisten der rund 50.000 Menschen in dieser Region leben vom Verkauf des Überschusses ihrer selbstangebauten Produkte. Die Umweltauswirkungen treffen sie hart, Ernten brechen weg, Familien verlieren ihre Lebensgrundlage. Viele Männer verlassen das Dorf, um in größeren Städten Arbeit zu suchen. Einige kommen nie wieder, ihre Frauen und Kinder bleiben auf sich allein gestellt zurück. Aus der Not heraus gehen Mädchen Kinderehen ein, Frauen werden in die Sexarbeit genötigt, Kinder müssen die Schule frühzeitig verlassen. Auch wenn vielen Menschen das Wort Klimawandel hier noch kein Begriff ist, seine Folgen sind schon heute existenzvernichtend – und sie treffen Frauen und Kinder am meisten.

Klimawandel: Weder fair noch geschlechtsneutral

Das Beispiel von Osukuru zeigt, was für niemanden eine neue Erkenntnis sein dürfte und doch für viele noch zu sein scheint: Die Folgen des Klimawandels sind unglaublich ungerecht – und die Verursachung der Erderwärmung auch. Die meisten Emissionen weltweit werden von weiterentwickelten nördlichen Ländern ausgestoßen. Und von Männern. Und nein, der größere ökologische Fußabdruck liegt nicht einfach daran, dass Männer durchschnittlich größer sind und damit mehr verbrauchen.

Laut einer Studie der Universitäten Göteborg und Groningen produzieren alleinstehende Männer 18 Prozent mehr klimaschädliche Emissionen als alleinstehende Frauen. Und diesen Unterschied macht nicht das Wieviel – Männer geben durchschnittlich zwei Prozent mehr aus als Frauen –, sondern das Wofür ihrer Ausgaben aus. Männer fahren im Durchschnitt mehr Auto, essen mehr Fleisch und verbrauchen mehr Energie, wie die Studie feststellte

Gleichzeitig schätzen Frauen den Klimaschutz als wichtiger ein, handeln umweltfreundlicher, fordern mehr Klimamaßnahmen und sind eher bereit, ihren Lebensstil zu verändern und mehr Geld auszugeben, um umwelt- und klimafreundlich zu leben. Dies zeigte die Bevölkerungsumfrage “Umweltbewusstsein in Deutschland” des Bundesministeriums für Umwelt, Nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).

Constance Okollet (r.) of the Osukuru United Women’s Network (OWN)
© Musah / GLF

Frauen halten den Klimaschutz für wichtiger – aus gutem Grund: Denn welches Geschlecht ist von den Auswirkungen der Klimakrise besonders stark betroffen? Welches ist im Durchschnitt weltweit ärmer und hat damit weniger Möglichkeiten, vor den Folgen des Klimawandels zu fliehen? Welches Geschlecht leidet nach Dürre- und Flutkatastrophen, nach Hurricanes und Tsunamis eher unter zunehmender sozialer Not und auch unter in Zeiten von Armut zunehmender häuslicher und sexueller Gewalt? Und welches Geschlecht wird damit oft allein gelassen? Welches Geschlecht hat weltweit weniger Zugang zu höherer Bildung und damit geringere Chancen, sich an klimabedingte Veränderungen anzupassen?

Immer wieder sind es Frauen. Diese geschlechterspezifischen Klimaauswirkungen lassen sich überall auf der Welt nachweisen, wie eine Metastudie zeigt, für die 130 Forschungsprojekte aus unterschiedlichsten Ländern ausgewertet wurden. In 68 Prozent der untersuchten Fälle waren Frauen stärker von Gesundheitsrisiken betroffen. In 64 Prozent der Fälle waren sie den Folgen von Extremwetterereignissen stärker ausgesetzt. In 79 Prozent litten eher Frauen als Männer unter Nahrungsunsicherheit, die durch Folgen des Klimawandels entstanden ist.

Diese Ungleichheit in den Klimaauswirkungen hat nichts mit biologischen Unterschieden zu tun. Vielmehr ist sie auf soziale und ökonomische Rollenunterschiede zurückzuführen. Und damit – Achtung: gute Nachricht! – ist sie auch veränderbar.

Ein männliches Problem mit einer weiblichen Lösung

Als die Sturzregen in Osukuru zunahmen, war Constance Okollet sofort klar, dass etwas getan werden musste. Mit zwölf Kolleginnen zusammen gründete die Sozialarbeiterin das Osukuru United Women´s Network (OWN). Ihr Ansatz: Klimagerechtigkeit durch Bildung. In örtlichen Gemeinschaften organisieren sich Frauen, um sich im Umgang mit den Überflutungen und Dürren zu schulen. Um nicht mehr von einer Pflanzenart abhängig zu sein, säen die Menschen vermehrt klimaresistentere und vielfältigere Sorten aus. Mit den Abfallprodukten ihrer Ernten bauen sie Häuser, ganz nach dem Motto “Reduce, Reuse, Recycle“. Ihre Atemluft ist besser, seit sie mehr aufforsten und auf umweltneutraleren Öfen kochen.

Gerade Frauen sind weltweit für den Klimaschutz wichtig. Das gilt selbst in der Unternehmenswelt: Eine Studie von BloombergNEF und der Sasakawa Peace Foundation zeigt, dass Unternehmen, in denen viele Frauen arbeiten, eher in erneuerbare Energien investieren. Sie messen eher ihre Emissionen und arbeiten daran, diese zu senken. Besonders Unternehmen mit mehr Frauen in Führungspositionen tun mehr, um energieeffizienter zu arbeiten und die Umwelt weniger zu belasten.

Ähnliches zeigt sich in der Politik: Länder mit mehr Frauen im Parlament ratifizieren eher Umweltabkommen und beschließen Konzepte gegen den Klimawandel, wie eine in der Zeitschrift Sustainable Developmentt veröffentlichte Studie zeigte. Selbst die Luft ist besser in den Ländern Europas, in denen Frauen mehr Entscheidungsverantwortung in der Politik tragen, wie Forscher*innen der Universitäten Pisa und Navarra nachwiesen

Pionierinnen der Klimabewegung

Es ist eine Tatsache: Mehr Frauen in den Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik zu haben, ist gut für das Klima, die Umwelt und damit unsere Lebensgrundlagen. Und schon jetzt gibt es in der Klimabewegung viele inspirierende Frauen, die sich für ein nachhaltiges, gerechtes und gutes Leben für alle einsetzen. Eine von ihnen ist Katharine Hayhoe, die im konservativen Texas über den Klimawandel und den Umgang mit seinen Folgen forscht, schreibt, unterrichtet und berät.

Ihr Motto: „Drüber reden!“ – „Talk about it!“. Ihre Strategie: Weniger belehren! Stattdessen sei es hilfreicher, Verbindendes zu suchen und den Klimawandel durch die Brille gemeinsamer Betroffenheit zu betrachten. Ein Beispiel: Als gläubige Christin sucht sie Gemeinsamkeiten mit anderen Gläubigen – und findet Brücken über geteilte christliche Werte wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Effektiver Klimaschutz sei auch eine Frage von gelebtem Christentum, sagt sie, denn er helfe, Armut, Vertreibung und Verteilungskonflikte zu begrenzen.

Klimaschutz als Gretchenfrage? Auch Mary Robinson – von 1990 bis 1997 Präsidentin im damals noch tiefkatholischen Irland und von 1997 bis 2002 Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen – ist eine Ikone unter den Frauen in der Klimabewegung. Die Erwärmung der Erde sei nicht nur eine ökologische, sondern eine soziale und feministische Herausforderung, sagt sie. Und als globale, alle Lebensbereiche umfassende Aufgabe könne sie nur durch Zusammenarbeit und interdisziplinäre Ansätze bewältigt werden.

Was beiden Pionierinnen wichtig ist: Immer wieder insistieren sie, dass der Klimawandel kein rein naturwissenschaftliches Thema sei. Über Klimawandel reden bedeute immer, auch über soziale Gerechtigkeit, Migration, Armut, Menschenrechte und eben auch die Gleichberechtigung von Frauen zu reden.

Mary Robinson
Former President of the Republic of Ireland and former UN High Commissioner for Human Rights
© Stefan Schäfer, Lich – Creative Commons

Klimagerechtigkeit geht nur themenübergreifend

Auch die Frauen in Ugandas OWN-Netzwerk verstehen ihre Arbeit nicht als allein ökologisches Projekt. Ihnen geht es auch um soziale Ziele und psychologische Stärkung. Auf diese Weise ist inzwischen ein Netzwerk von über 2.000 Mitgliedern entstanden, die in mehr als 40 Untergruppen die Folgen der Klimakrise und die Unterdrückung von Frauen bekämpfen.

Und ihre Maßnahmen funktionieren: Die Frauen des Netzwerks unterstützen sich gegenseitig und geben ihr Wissen weiter. Durch umweltbewusste Bewirtschaftung haben sie ihre Nahrungssicherheit und vielfach ihre Gesundheit verbessert. Und vor allem verdienen sie ihr eigenes Geld, wodurch sie sich nicht nur ein nachhaltiges, sondern auch ein unabhängiges Leben ermöglichen können. Das hat auch Folgen für ihr soziales Wohlergehen: “Wenn eine Frau Geld in der Tasche hat, ist sie nicht von ihrem Mann abhängig. Und die Männer schlagen weniger schnell zu, denn sie wissen, dass sie eine Wahl hat“, erläutert Constance Okollet.

Mehr Gleichberechtigung ist gut fürs Klima

Frauen sind nicht nur Betroffene, sie sind auch die Lösung der Klimakrise. Sie müssen nicht nur mitgedacht werden, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht. Sie müssen selbst mitdenken und mitdenken dürfen – und das von Anfang an. 

Stellen wir uns eine Welt vor, in der Frauen wie Männer gleichermaßen dazu beitragen, Entscheidungen für den Klimaschutz zu entwickeln und umzusetzen. So viele Ideen, Projekte und Initiativen, so viel mehr Menschen würden die Klimagerechtigkeit mitdenken und voranbringen und eine für alle bessere Welt schaffen. Frauen einbinden heißt Perspektiven, Strategien, Wissen und einzigartige soziale Kompetenzen und Erfahrungen einbinden.

Mir persönlich macht der Gedanke Hoffnung, dass weltweit noch so viel unausgeschöpftes Potential liegt, das Klimaschutz und Gleichberechtigung voranbringen kann. Und wenn der Platz am Tisch nicht angeboten wird, dann muss er eben eingefordert werden.

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