Die Zukunft gestalten

WARUM WIR EINEN NEUEN KLIMADISKURS BRAUCHEN

Von Eva-Maria McCormack

Die Bekämpfung der Klimakrise erfordert einen Systemwandel, der uns Menschen in allen Bereichen unseres Lebens berührt. Eine Transformation dieses Ausmaßes sollte deshalb vor allem eines bieten – eine Antwort auf die Frage "Wozu?". In unseren Diskursen über die Klimakrise sprechen wir jedoch nur selten von der Welt, in der wir künftig leben wollen. Ein Aufruf zu mehr Hoffnung und Fantasie.

"Die Zukunft war in der Vergangenheit auch schon besser", beschrieb Karl Valentin, der Clown-Kritiker der 1920er Jahre, gern die launische Mischung aus Angst und Avantgarde unter seinen Zeitgenossen.

Hundert Jahre später klingt sein Urteil angesichts der Klimakrise fast noch optimistisch. Infolge des niederschmetternden 6. Berichtes des Weltklimarates und der durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelösten Rückbesinnung auf fossile Brennstoffe erscheinen die Chancen, die Pariser Klimaziele zu erreichen, schlechter denn je.

Mehr als 80 Prozent der heute 16- bis 25-Jährigen glauben, dass sie einer beängstigenden Zukunft entgegengehen, und vier von fünf fühlen sich angesichts mangelnden Klimaschutzes von den Regierungen betrogen. Das ergab eine von der Fachzeitschrift Lancet Planetary Health veröffentlichte Umfrage in zehn Ländern. Der Aufruf, sich eine bessere Welt vorzustellen, klingt geradezu naiv.

UND DENNOCH: STELL DIR VOR …

Wie wäre es, wenn es gelänge? Wenn wir es schaffen würden, die Klimakrise einzudämmen? Auf dem Forum des europäischen Stiftungsverbandes Philea im Mai 2022 in Barcelona lud Rob Hopkins - Mitbegründer des Transition Netzwerks und Autor von Stell dir vor ... - Mit Mut und Fantasie die Welt verändern die Teilnehmer:innen ein, die Augen zu schließen und in Gedanken in eine Zeitmaschine zu steigen, um sich ihr Leben in einer nachhaltigen Welt vorzustellen.

Innerhalb von Minuten war der Raum mit Energie gefüllt: "Ich kann saubere Luft riechen". "Meine Kinder spielen auf der Straße. Die ‚Öffis‘ sind so gut, dass die Straßen nicht mehr voller Autos sind.“  "Ich höre Vögel." "Endlich kein Plastik mehr.“

Am Ende der Diskussion, die gemeinsam von der European Climate Foundation, der Stiftung Mercator, dem Clean Air Fund und Impact on Urban Health veranstaltet wurde, berichteten die Teilnehmer:innen, dass sie sich gestärkt und belebt fühlten und inspiriert, für einen Klimawandel zu kämpfen, der persönlich für sie geworden war.

NAIV

Die Bekämpfung der Klimakrise erfordert einen systemischen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft, der uns Menschen in nahezu allen Bereichen unseres Lebens berührt, ob Zuhause, im Arbeitsleben oder in der Öffentlichkeit. Wohnen und Energieversorgung, Transport und Verkehr, Gesundheit und Ernährung sind nur einige Beispiele.

Was eine Transformation dieses Ausmaßes verlangt, ist Fairness und vor allem eine Antwort auf die Frage "Wozu?".

WANDEL WOZU?

Obwohl das Klimathema inzwischen die Mitte der Gesellschaft erreicht hat, wird diese Frage im öffentlichen Diskurs über die Klimakrise aber erstaunlicherweise noch immer weitgehend ausgeklammert. "Katastrophenvermeidung ist das höchste Ziel, das die meisten von uns, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, anbieten. Wir versprechen das Überleben und nicht viel mehr." schrieb Donella H. Meadows im Jahr 1994 und beklagte ein "Visionsversagen".

Noch heute, 30 Jahre später, setzt sich dieses Versagen fort. Diskurse über die Klimakrise sind noch immer von einschüchternder Komplexität und unverständlicher Technizität für einen großen Teil der Menschen. Vor allem aber sind sie lähmend beängstigend. Unser übergreifendes Narrativ lautet: "Wie können wir dem Untergang entgehen?" und nicht "In welcher Welt wollen wir eigentlich leben?"

Das treibt uns nicht nur in eine - falsche – Wahrnehmung, dass wir der Krise längst alternativlos ausgeliefert sind. Im  International Journal of Psychology veröffentlichte Forschungsergebnisse zeigen, dass Furchtappelle Menschen zwar alarmieren, aber nur in begrenztem Umfang zum Handeln aktivieren. Warum nicht einen letzten Tanz auf der Titanic, wenn die Welt eh auf die Katastrophe zusteuert? Wo keine Hoffnung mehr ist, macht das Abschalten und die Disassoziation noch am meisten Sinn.

WIE DEM KLIMASCHUTZ MEHR ZUGKRAFT GEBEN?

Wie dann können wir der Klimaagenda mehr Zugkraft geben? Es klingt kontraintuitiv, aber immer mehr Fakten zu verbreiten, ist nicht die Antwort. Eine in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Verhaltensforschungsstudie ermittelte auf der Basis von Umfragen in sechs politisch und kulturell unterschiedlichen Ländern, dass Klimawissen zwar wichtig ist, ein höheres Maß an Klimawissen jedoch nicht. Mehr Wissen wirkte sich sogar einschränkend auf das Interesse und die Sorge von Menschen um das Klima aus, so die Studie.

Was wir angesichts des drängenden Systemwandels brauchen, sind Bilder und Geschichten über die Welt, die wir gestalten wollen und die uns Lust auf Zukunft macht.

Geschichten der Hoffnung. Keine gefühlsduselige, rosarote Hoffnung, sondern evidenzbasierte Hoffnung, die anerkennt, dass wir die Welt verändern können. Haben Menschen das nicht schon immer getan? Um  Stephen Duncombe, den Mitbegründer des in den USA ansässigen Center for Artistic Activism, zu zitieren: "Was waren Demokratie, Sozialismus, Anarchismus, Bürgerrechte und Feminismus anderes als Träume von einer veränderten Welt?"

SYSTEMWANDEL IST MÖGLICH

Systeme lassen sich transformieren. Und auch wenn Systemwandel, von innen heraus erlebt, nur im Schneckentempo vonstatten zu gehen scheint, so geschieht er – historisch betrachtet – doch ebenso oft schnell und umwälzend: Nur neun Jahre lagen zwischen Rosa Parks Weigerung, in jenem Bus in Alabama ihren Sitzplatz aufzugeben, und dem US-Bürgerrechtsgesetz von 1955. Greta Thunberg ist noch immer ein Teenager.

Auf dem Philea-Forum 2022 rief Rob Hopkins zu einer Revolution der Fantasie auf. Der Satz "Wir brauchen mehr Hoffnung" zog sich wie ein roter Faden durch Debatten auf Podien und in kleinen Kreisen.

Natürlich ist Hoffnung nicht einfach der Glaube, dass alles schon gut werden wird. Hoffnung ersetzt auch nicht die Botschaft der Dringlichkeit, dass Handeln in der Klimakrise jetzt und sofort geboten ist.

Aber Hoffnung und Fantasie verleihen Kraft zum Handeln, denn sie machen das Politische persönlich und das Persönliche politisch.

MIT FANTASIE ERMÄCHTIGEN

Geschichten der Hoffnung und Fantasie laden Menschen ein, auf die erste Stufe der Leiter des zivilgesellschaftlichen Engagements zu klettern. Sie befähigen Gemeinschaften, zu Akteur:innen des Wandels zu werden, die stark genug sind, politische Entscheidungen durch Wahlstimmen und öffentlichen Druck zu beeinflussen.

Geschichten der Hoffnung sind auch entscheidend, wenn es darum geht, Menschen auf dem schwierigen Weg der Dekarbonisierung zu halten. Dies ist um so wichtiger, als sich Rückschläge abzeichnen, ausgelöst zum einen durch Kosten und Fragen der fairen Verteilung und zum anderen erschwert durch politische Instabilitäten wie etwa die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine.

STIFTUNGEN ALS HOFFNUNGSTRÄGER

Stiftungen sind in einer idealen Position, um Hoffnung und Fantasie in den Klimadiskurs zu bringen. Nicht nur ist die Überzeugung, positive Veränderung bewirken zu können, geradezu Grundbestandteil ihrer organisatorischen DNA. Stiftungen sind auch Makler der Hoffnung durch ihre Arbeit und die Projekte, die sie fördern.

Wir sollten ihre Wirkung nicht nur in KPIs, Inkrementen, Zahlen und Fakten messen. Und wir sollten nicht nur über 1,5 Grad reden. Sprechen wir darüber, was 1,5°C bedeutet.

Die Aufforderung, sich eine bessere Welt vorzustellen, mag naiv erscheinen, aber sie ist es, die uns das Unmögliche erreichen lässt. 

Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht von Philea.

Diesen Beitrag teilen: