„LET’S HAVE A DREAM“
Heute vor 60 Jahren wurde Dr. Martin Luther King
der Friedensnobelpreis verliehen
Von Jenny Bischofberger
Das bekannte Zitat, das mich zu diesem Text inspiriert hat, stammt aus Martin Luther Kings berühmter Rede vor 250.000 Demonstrierenden im August 1963 in Washington D.C.: Der Satz stand noch nicht einmal in seinem Skript, es war das spontan improvisierte Finale, das Martin Luther King dann weiter wiederholte wie den Refrain eines Liedes: “I have a dream…”
Der Traum von Martin Luther King bezog sich auf seine Kinder:
„I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.“
King malte in diesem Teil der Rede eine Gesellschaft der Zukunft aus, in der sich Schwarze und Weiße die Hand geben und gemeinsam die Zukunft gestalten können. Sein Utopia war keine gesichtslose Zukunft. Es war die Vision einer besseren und friedlichen Zukunft für seine und alle Kinder Amerikas. Er platzierte diese Vision inmitten einer Gesellschaft, in der Segregation und Rassismus den Status Quo ausmachten. Die USA schien von einer sozialen, ökonomischen, politischen und rechtlichen Gleichstellung von Schwarzen und Weißen damals noch sehr weit entfernt.
Martin Luther King wurde mit seiner rhetorischen Meisterleistung als ein „Souverän der Situation“ beschrieben, als empathisch und enthusiastisch gleichermaßen. Seine Personifizierung von Zukunft auf die Kinder transportierten keine abstrakten politischen Ziele, sondern erzählten diese persönlich und strahlten Gerechtigkeitssinn und Liebe aus. Eine Liebe, die Mitmenschen achtet und sich ihnen mit Geduld zuneigt.
Zukunftssorge ist (Eltern)fürsorge
Bis heute spüren wir das Wirken von Martin Luther King. Seine Zukunftsvision und sein unermüdlicher Kampf für Gleichheit und Gerechtigkeit haben die Bürgerrechtsbewegung vorangetrieben, doch viel mehr als das. Mit seinem Blick auf die Zukunft auch als das „Leben unserer Kinder“ setzte er Verantwortung für Gesellschaft und Politik gleich mit der Fürsorge liebender Eltern für ihre Kinder.
Und aus diesem Blickwinkel heraus schaffte er es denn auch die Weißen eben nicht als Gegner, sondern als Brüder und Schwestern anzusprechen, deren Schicksal als gemeinsame Familienmitglieder untrennbar mit dem der Schwarzen verbunden war:
“Our white brothers, as evidenced by their presence here today, have come to realize that their destiny is tied up with our destiny.”
Hoffnung als Handlungsauftrag
Zukunft, das war für King damit nicht nur eine persönliche Geschichte für jede einzelne Familie. Zukunft war für ihn auch die Aufgabe einer großen Menschheitsfamilie, in die er alle Menschen einbezog. Hoffnung für diese bessere Zukunft wurde damit ein klarer Handlungsauftrag. Gesellschaftliches und politisches Engagement ist Engagement für unsere und unser aller Kinder.
Bis heute geht von Kings Rede für viele Menschen eine große Kraft der Hoffnung aus – auch für mich. Die Zugkraft von Hoffnung ist vielleicht gerade dann am Tragendsten, wenn sie eben schwerfällt.
Den Kindern beim Entdecken der Welt zuschauen
Mein Vater ist vor 20 Jahren an Amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer Erkrankung des Nervensystems, gestorben. Sein wacher Geist musste drei Jahre in einem sterbenden Körper leben. Der Vater meiner eigenen drei Kinder ist mit 51 Jahren an Krebs gestorben. Auch er hatte die Kraft, drei Jahre in einem – aus medizinischer Sicht - nicht mehr lebensfähigen Körper zu Leben.
Für beide gab es keine Hoffnung auf ein Überleben. Doch Hoffnung sah ich trotzdem in ihren Augen – und zwar immer dann, wenn sie ihren Kindern beim Entdecken der Welt zuschauen konnten. Hoffnung geht weit über eine Krise oder den Tod hinaus: Wir können sie im Leben unserer Kinder sehen.
Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass Hoffnung weit über individuelle Schicksale hinausreicht. Sie zeigt sich in den Augen unserer Kinder und in einer Vision für ihre Zukunft – die Art von Vision, die Martin Luther King in seiner „I have a dream“-Rede so kraftvoll beschrieben hat. “I have a dream”-speech.
Auf dem Weg vom Ist- zum Soll-Zustand
King hat diese Überzeugung niemals aufgegeben, obwohl er wusste, dass er sich in großer Gefahr befand. Fünf Jahre, nachdem er den Friedensnobelpreis entgegengenommen hatte, wurde er im Alter von nur 39 Jahren am 4. April 1968 aus rassistischen Motiven in einem Attentat in Memphis, Tennessee, ermordet.
Als Reaktion auf das Attentat sagte ein Weggefährte über sein Wirken:
„…this nation has to be challenged and transformed from what it is to what it ought to be.“ („diese Nation muss herausgefordert und umgestaltet werden auf dem Weg von Ihrem Ist-Zustand zu dem, was sie sein sollte.“)
Martin Luther Kings gewaltloser Kampf für Gerechtigkeit, kann uns heute auf dem Weg in eine klimaneutrale, sozial gerechtere Zukunft begleiten. Seine Botschaft von Hoffnung war weder idealistisch noch abstrakt, sondern tief in menschlichen Erfahrungen und Bedürfnissen verwurzelt. An Visionen festzuhalten und sie zugleich zu teilen und selbst Gegner und Verhinderer in sie einzubeziehen, ist eine weitere wichtige Botschaft für die heutige Transformation zu nachhaltigen Lebensweisen.
Wie kommunizieren?
Was heißt das konkret? Wir können aus Kings hoffnungsvollem Ansatz lernen und uns von ihm inspirieren lassen. Mir sind dafür drei Kernpunkte wichtig.
Erstens müssen wir über den Status Quo sprechen. King sagte klar: „The negro is still not free.“ Heute ist es wichtig, breiteres Bewusstsein für das Ausmaß der Klimakrise und ihre existenzgefährdenden Auswirkungen zu schaffen. So können wir die persönliche Distanz vieler zu einem überwältigend erscheinenden Thema verringern und die Situation greifbarer machen.
Die Mühen der Veränderung Zweitens ist es wichtig zu kommunizieren, wie eine Zukunft ohne oder ohne ausreichende Anpassung aussehen würde, wenn wir also nichts oder zu wenig tun, um die Klimakrise einzudämmen und uns als Menschen auf ihre Folgen vorzubereiten. King begnügte sich nicht damit, auf eine utopische Zukunft zu verweisen. Er sprach auch die konkreten Bedingungen dafür an – wie etwa das Ende von Polizeigewalt gegenüber Schwarzen.
Gleichzeitig darf es nicht dabeibleiben, die Mühen der Veränderung zu thematisieren oder Dystopien auszumalen, sollten diese gescheut werden. Apokalyptisch anmaßende Metaphern überfordern und verängstigen viele Menschen und können damit zu einem lähmenden „Ich kann ja eh nichts tun“ führen.„Positive Nebenwirkungen“
Martin Luther King malte in seiner Traumrede eine einladende Zukunftsvision aus. Auf heute bezogen bedeutet dies, dass wir - drittens - aufzeigen, welche Chancen eine umfassende nachhaltige Gestaltung unserer Gesellschaft für uns Menschen birgt. Hier geht es nicht um Optimismus im Sinne von „Es wird schon alles gut, und die anderen werden sich kümmern.“ Es geht vielmehr um die positive „Nebenwirkungen“, die Nachhaltigkeit und Klimaschutz für unser Leben bieten – für unsere Gesundheit, für ein sozialeres Miteinander, für eine innovative Wirtschaft, für gerechtere Gesellschaften und internationale Beziehungen.
Martin Luther King kann als Inspiration dafür dienen, wie wir die heutige Zukunftsgeschichte zugleich dringlich und einladend erzählen können. Mit Emotionen, die die Botschaft von Selbstwirksamkeit mit gutem „Storytelling“ und sogar Humor verbinden.
Martin Luthers Kings „Zukunftsscheck“ heute
King bot seinen Zuhörer*innen in Washington einen „Scheck“ über die Zukunft an, der den Menschen in einem gleichberechtigten Amerika ohne Rassismus winken würde: „And so, we've come to cash this check, a check that will give us upon demand the riches of freedom and the security of justice....“ („ein Scheck, der uns auf Verlangen die Reichtümer der Freiheit und die Sicherheit der Gerechtigkeit bieten wird“).
Ich wünsche meinen – und allen anderen – Kindern den Scheck der Nachhaltigkeit, der mehr Sicherheit, mehr Gesundheit, mehr Gerechtigkeit – und damit mehr Lebensqualität - verspricht. Klimaschutz ist Fürsorge für zukünftige Generationen, für unsere Kinder – und auch Martin Luther Kings Kindes- und Kindeskinder.
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