KLEINE ANFÄNGE,
GROSSE WIRKUNG

Klimaschutz ist Völkerrecht

Das Klimaschutz-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs nimmt die Staaten in die Pflicht - auch Deutschland.

Von Eva-Maria McCormack

Das Klimaschutz-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs erteilt auch der deutschen Regierung eine klare Ansage. Friedrich Merz‘ Argument, dass Deutschland ja nur ein kleiner Player im Klimaschutz sei, ist nicht mehr haltbar. Im Gegenteil: Künftig sind Staaten vor Gericht haftbar dafür, wenn die Klimapolitik ihrer Regierung nicht ausreicht. Eine gewaltige Hoffnungsbotschaft dabei: Dieser Erfolg ist einer Gruppe ganz normaler junger Menschen zu verdanken.

Friedrich Merz' Ausrede "zu klein, um etwas zu bewirken?” Vom Tisch.
Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) über die Klimaschutzverpflichtungen von Staaten erteilt auch der deutschen Regierung einige klare Lektionen. Darunter zum Beispiel: Friedrich Merz wird sich nicht mehr herausreden können, dass der Beitrag Deutschlands zum Klimaschutz international gesehen ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein und daher nicht so wichtig sei.

Der IGH stellt in seinem Gutachten fest, dass alle Länder verpflichtet sind, ihren Beitrag zu leisten, damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 erreicht werden. Und das Gutachten sagt in Paragraf 277 wörtlich: Dies ist selbst dann der Fall, wenn der von einem Land betriebene Klimaschutz „für sich genommen ökologisch unbedeutend ist.“ Selbst Länder, die nicht Mitglied des Klimaabkommens sind, seien im Zuge des Völkergewohnheitsrechts nun dazu verpflichtet, kommentierte Markus Behring, Professor für Europäisches und Internationales Recht an der Universität Cambridge, das Gutachten diese Woche bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). this week.

Deutschland hat als historischer Klimaverschmutzer Nr. 6 besondere Verantwortung
Der Gerichtshof stellt überdies fest, dass gerade die historischen Klimaverschmutzer – die Länder also, die in ihrer Geschichte besonders viele der toxischen CO2-Emissionen verursacht haben – verantwortlich sind, wirksamen Klimaschutz zu betreiben. Und auf der Skala der historischen Sünder steht Deutschland immerhin auf Platz sechs – nicht einmal eingerechnet dabei die Emissionen, die unser Land im Ausland verursacht hat.

Auch die sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländer werden im Gutachten in die Pflicht genommen, die Klimaziele des Pariser Abkommens umzusetzen. Das Gericht geht sogar so weit, die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius festzulegen – im Gegensatz zu den Weltklimagipfeln von Paris und Glasgow, die noch von einer "Ambition" sprachen.

Grafiken: Talking Hope

Die Folgen für Deutschland: Echte Klimaschutz-Wirkungen werden einklagbar.
Was das für Deutschland heißt? Die vor dem Bundesverfassungsgericht noch laufende Klage gegen die Bundesregierung, die im letzten Jahr erfolgten Abschwächungen des Klimaschutzgesetzes von 2019 rückgängig zu machen, wird durch das IGH-Gutachten Auftrieb bekommen. Angestrengt hatten diese Klage mehr als 54.000 Bürger:innen gemeinsam mit den Organisationen Germanwatch und Greenpeace.

Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes ist auf den ersten Blick zwar „nur“ ein Gutachten. Als rechtliche Einordnung legt es jedoch die Messlatten fest, an denen sich die künftige Gesetzgebung auch in Deutschland orientieren muss – und nach denen sie im Zweifelsfall auch vor Gericht verurteilt werden kann.

Länder, die in ihren Klimagesetzen die dort formulierten Kriterien unterlaufen, können mit Verweis auf das Gutachten verklagt und zu Schadensersatz verpflichtet werden. Dabei geht es nicht nur um Zielerklärungen: Wie Tim Bosch vom Zentrum für Klima- und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) am Donnerstag deutlich machte, sind Staaten nach dem Gutachten rechtlich haftbar für die CO2-Emissionen, die Unternehmen von ihrem Staatsgebiet aus verursachen.

Staaten haften für Emissionen aus ihrem Gebiet 
Das dürfte auch für die beim Klimaschutz hinterherhinkende Koalition unter Friedrich Merz ein kräftiges Motiv sein, es nicht mehr bei Beschwichtigungen, Ausreden und reinen Absichtserklärungen zu belassen.

Es dürfte auch schwieriger werden, die Klimaschutzverfehlungen im Gebäude- und im Verkehrsbereich – in der vergangenen Koalition unter SPD- bzw. FDP-geführten und derzeit unter SPD- bzw. CDU-geführten Ministerien - weiter einfach nur durchzuwinken. Im Jahr 2024 wurden im Gebäudesektor 4,9 Million Tonnen CO2 zu viel verursacht, im Sektor Verkehr, lag der Ausstoß der toxischen Emissionen sogar 18 Millionen über dem gesetzlichen Limit, so das Umweltbundsamt.

Man stelle sich diese Menge einmal als giftige, schwarze Wolke in unserer Luft vor, die jeder von uns täglich atmet: Unsere Kinder. Unsere alten Großeltern. Unsere Kranken. Oder auch die Gesunden, die dadurch täglich etwas kränker werden.

Wollen wir angesichts solcher Giftwolken wirklich noch über ein Tempolimit auf unseren Autobahnen streiten? Oder über Wärmepumpen? Oder Schachspielchen darüber veranstalten, welches Ministerium vielleicht weniger schnell sein darf in der Verhinderung der Klimakrise?  

Mehr als ein politischer Gewinn: Ein Sieg der Hoffnung
„Dieses Gesetzesgutachten ist bahnbrechend“, sagte Markus Gehring, Professor für Europäisches und Internationales Recht an der Universität Cambridge am Donnerstag bei der DGAP. Doch es ist mehr als das.

Neben dem rechtlichen Erfolg und seinen wegweisenden politischen Konsequenzen erzählt die Entscheidung des IGH eine noch weiter reichende Geschichte. Und dies ist eine Geschichte über Hoffnung. Sie macht Mut - gerade in den heutigen Zeiten, in denen sich vor allem die junge Generation, aber auch viele andere Menschen ohne Einfluss, ohne Gehör und ohne Macht erleben.

Das Gerichtsverfahren, das so manchen Regierungschef zum Umdenken zwingen wird, wurde angeschoben von einer Gruppe junger Menschen: Vishal Prasad etwa, der Leiter des Kampagnenteams ist erst 28 Jahre alt, seine Teamkollege Siosiua Veikune noch einmal drei Jahre jünger.

Warum die Goliaths die Davids fürchten sollten ...
Insgesamt waren es 27 Studentinnen und Studenten aus dem Pazifik-Raum – der Region also, die ganz unmittelbar vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist, welche die Klage beim IGH vor sechs Jahren anschoben. Sie riefen Menschen auf, Zeugnis abzugeben, was die Klimakrise für sie bedeutet – vor ihrer Haustür, an die der Ozean täglich ein wenig näher rückt.

Menschen, die ihre Geschichten teilten, die andere ansprachen und andere versammelten, waren die Urkraft und die Antreiber dieses „bahnbrechenden Gesetzesgutachtens“, das voraussichtlich auch den im November anstehenden 30. Klimagipfel in Brasilien prägen dürfte.

Als sich Vishal und Siosua 2019 mit ihren Mitstreiter:innen zusammentaten, konnten sie nur hoffen, dass ihre Geschichte Gehör finden würde. Vielleicht irgendwann einmal. Wenn man Andere gewinnen könnte. Wenn man Politiker überzeugen könnte. Die Tage der Entmutigung waren vermutlich groß. Was können ein paar 20-Jährige aus dem fernen Fiji, Tonga und Vanuatu schon ausrichten?

Veränderung beginnt von unten, nicht in der Politik 
Nur sechs Jahre später ist die Geschichte dieser Student:innen viel mehr als ein gerichtlicher Erfolg. Ihre große Hoffnungsbotschaft ist auch: Veränderung beginnt von unten – nicht mit Gerichten, nicht mit Regierungen, sondern mit Menschen. Mit Einzelnen.

Hoffnung ist dabei nicht die Sicherheit, dass man Erfolg hat. Es ist die Entscheidung, trotz Unsicherheit aktiv zu werden – weil es Sinn macht und weil auch Ungewissheit Raum zum Handeln lässt. Kleine Anfänge können große Veränderungen bewirken. Auch diese Botschaft ist politisch.