NACH COP30:
ZEIT FÜR DIE ZIVILGESELLSCHAFT
ZEIT, DEN DRUCK ZU ERHÖHEN
COP30 und der Mut weiterzureden
Von Eva-Maria McCormack
Die COP30 in Belém hat bestätigt: Die Zeit, einfach auf das nächste globale Klimaabkommen zu warten, ist vorbei. Eine neue Phase hat begonnen — geprägt von plurilateralen Initiativen, von „Koalitionen der willigen“ Regierungen und Akteur:innen, die schneller vorankommen können als die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen. Diese Verschiebung ist bedeutsam. Aber je stärker sich die Klimadiplomatie auf kleinere Formate verlagert, desto wichtiger, nicht unwichtiger, wird der Druck aus der Zivilgesellschaft und von der Basis.
Fortschritt: Die bescheidenen Erfolge der COP30
Es gab einige bescheidene Fortschritte beim jüngsten Weltklimagipfel in Belém: Angesichts der veränderten geopolitischen Realitäten war es bereits ein Erfolg, dass alle 195 Delegationen am Tisch blieben und überhaupt eine gemeinsame Erklärung verabschiedeten. Auch die starke Präsenz indigener Delegationen und zivilgesellschaftlicher Gruppen war ein Gewinn - erst recht, wenn man bedenkt, dass immerhin jeder vierte Teilnehmende auf der COP ein Lobbyist der fossilen Industrie war. Bemerkenswerterweise werteten einige Beobachter die Abwesenheit der USA — des weltgrößten Verschmutzers — sogar als „Glück im Unglück“: Das Fehlen der Trump-Regierung habe die Stimme der fossilen Lobby in Belém geschwächt, urteilte Srinivas Krishnaswamy, CEO der indischen Vasudha Klima-Stiftung bei einem Briefing der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ( DGAP ) zum Abschluss der Konferenz.
Es gab zudem konkrete Erfolge: Der neu geschaffene Belém Action Mechanism (BAM) verankert das Prinzip eines „Gerechten Wandels" zur Klimaneutralität in der globalen Klimapolitik. Das ist ein Durchbruch. Verbesserungen in der Anerkennung indigener Rechte und im Schutz besonders gefährdeter Gemeinschaften sind ein weiteres wichtiges Signal. Und die auf dem Gipfel angekündigte "Tropical Forests Forever Facility" (TFFF), die 125 Milliarden US-Dollar für den Erhalt tropischer Wälder mobilisieren soll, ist ein wichtiger Schritt.
Stillstand: Wo Belém scheiterte
Auf der anderen Seite aber hat COP30 schlicht nicht geliefert, was nötig wäre, um die Klimakrise einzudämmen. Ja, der Vormarsch erneuerbarer Energien ist spektakulär. Sie sind wettbewerbsfähig, stärken lokale Ökosysteme und machen Energiesysteme unabhängiger – wie Kira Vinke im DGAP-Briefing treffend bemerkte. Ein Zurück gibt es definiv nicht mehr.
Trotzdem haben die Delegationen in Belém es nicht geschafft, sich auf einen verbindlichen Fahrplan für den Ausstieg aus fossilen Energien zu einigen. Die bereitgestellten Gelder für Klima-Anpassungsmaßnahmen bleiben beschämend gering.
Viele Menschen an den Frontlinien der Klimakrise bleiben wieder einmal zurück - mit Unsicherheit statt echter Unterstützung. „In Belém haben die reichen Länder ihre unerträgliche Heuchelei offen zur Schau gestellt: Sie verlangen mehr Einsatz von denen, die die Klimakrise am wenigsten verursacht haben – während sie sich weiterhin weigern, ihre historische Klimaschuld zu begleichen“, brachte es Fanny Petitbon von der internationalen Klimaorganisation 350.org schonungslos auf den Punkt.
Das neue Zeitalter der Klimapolitik: Plurilateralismus, sein Versprechen – und sein Preis
Gleichzeitig eröffnete Belém einen neuen Trend: Während auf der COP-Ebene die große Ambition ausblieb, wurde "Plurilateralismus“ das neue Schlagwort der internationalen Klimapolitik - also Initiativen, die nicht auf alle warten, sondern von einer „Koalition der Willigen“ auf staatlicher oder anderer Ebene vorangetrieben werden. Vom Just-Transition-Mechanismus über die Tropical Forests Forever Facility (TFFF) bis hin zu neuen Süd-Süd-Bündnissen und regionalen Allianzen: Plurilaterale Formate werden zu Experimentierfeldern, in denen Klimaschutz getestet – und überraschend oft geliefert – wird.
Das kann ein echter Vorteil sein. Kleine Gruppen können, was 198 Staaten kaum schaffen: Tempo machen. Wenn einige vorpreschen, kann dies mehr Beweglichkeit, weniger Stillstand und mehr Raum für neue Ideen bedeuten.
Doch der Preis dafür kann hoch sein: Wenn Entscheidungen in kleinere Räume verlagert werden, dominieren oft die Lautesten – und die Schwächsten, die am meisten zu verlieren haben, bleiben außen vor. Der Trend zum Plurilateralismus kann schnell auch ein Weg zu weniger demokratischer Beteiligung und öffentlicher Kontrolle werden.
Jetzt ist die Zeit für die Zivilgesellschaft.
Zivilgesellschaft, gesellschafliche Gruppen, die Bürgerinnen und Bürger laufen Gefahr, zu Zuschauenden dieser Verhandlungsprozesse zu werden – statt sie mitzugestalten. Der Wechsel zu plurilateralen Mechanismen bedeutet: Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass nationale Regierungen „von oben“ die großen Entscheidungen für uns treffen.
Deshalb ist gerade jetzt der Moment, in dem die Zivilgesellschaft nach vorn treten muss und nicht zurück. Bei Talking Hope verstehen wir Hoffnung als Entscheidung, ins Offene zu handeln und aktiv zu werden – gerade dann, wenn die Zukunft unsicherer denn je erscheint.
Wenn sich die internationale Klimapolitk in neue, "pluralistische" Räume verlagert, darf die Gesellschaft nicht draußen blieben. Wir müssen mobilisieren, uns vernetzen, uns einmischen – und vor allem jene Stimmen stärken, die sonst systematisch überhört werden. Dazu gehören vor allem marginalisierte Gruppen, Menschen, die unter sozialer Benachteiligung leiden, und all jene, die keine starke Lobby hinter sich haben.
Miteinander Reden ist ein politischer Akt.
Die Klimakrise lässt sich nur lösen, wenn wir gleichzeitig soziale Gerechtigkeit stärken, demokratische Teilhabe sichern und neue Wege finden, einander über Unterschiede hinweg zu verständigen. Diese Ziele sind weder "soft" noch nachrangig für das Gelingen der sozial-ökologische Transformation. Im Gegenteil: Sie sind Klimapolitik.
Wenn Menschen aufhören, über Differenzen hinweg zu sprechen, gewinnen fossile Interessen. Wenn Angst den Dialog übertönt, schrumpft Gerechtigkeit. Und wenn die Politik an immer kleinere, exklusivere Tische wandert, dann muss Hoffnung hinaus auf die Straße – in Nachbarschaften, Cafés, Busse, Klassenzimmer, öffentliche Plätze und Wohnzimmer.
Je stärker plurilaterale Klimapolitik wächst, desto stärker müssen auch unsere pluralen Gesellschaften werden – laut, offen und demokratiefest.
Wir brauchen Druck - nicht Spaltung.
Regierungen und Unternehmen, die "plurilateralistisch" handeln, haben den Vorteil, schneller entscheiden und handeln zu können. Sie tun dies aber auch möglicherweise mit weniger Transparenz und öffentlicher Kontrolle. Damit die "Koalition der Willigen" wirklich mutig vorangeht, darf der öffentliche Druck nicht nachlassen. Gerade jetzt braucht das eine Zivilgesellschaft, in der möglichst viele Gruppen den Willen der Mehrheit nach Klimaschutz deutlich machen. Dazu zählt nicht nur die Klimaszene. Hier sind Gewerkschaften gefragt, Studierende, Alte wie Junge, kleine und große Firmen, Glaubensgemeinschaften, Städte mit vielen Menschen und Nachbarschaften mit wenigen. Kurz: Jede und Jeder von uns.
Öffentlicher Druck muss nicht unbedingt laut sein. Druck entsteht vor allem durch Gemeinschaft. Er wächst, wenn wir mit Menschen sprechen, die anderer Meinung sind. Wenn wir ruhig, aber bestimmt fragen: „Wie wollen wir eigentlich leben? Welche Zukunft wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Wer darf sie mitgestalten — und wer wird übergangen?“
Hoffnung ist kein Optimismus. Hoffnung ist Engagement.
Belém, Brasilien, am 13. November 2025. (Credit Kiara Worth)
Plurilateralismus kann Klimaschutz beschleunigen — aber soziale Gerechtigkeit verankert ihn.
Auf dem Weltklimagipfel hallte eine Botschaft von Indigenen, Jugendbewegungen und Gruppen an den Frontlinien der Klimakrise immer wieder durch: „Wir können den Planeten nicht reparieren, ohne unseren Gesellschaftsvertrag zu reparieren.“
In der sozial-ökologischen Transformation geht es nicht nur um sauberere Technik, sondern auch um faire und inklusive Gesellschaften. Es geht darum, dass Arbeiter:innen Mitgestalter und nicht Opfer des Wandels sind. Es geht darum, dass die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen auch in der Praxis gelten und dass diejenigen, die Wälder, Wasser und Böden schützen, ins Zentrum rücken, statt am Rand zu stehen.
Plurilateralismus kann Klimaschutz beschleunigen — aber soziale Gerechtigkeit verankert ihn.
Das gilt auch in Deutschland: für Menschen, die in der Energiewende um ihre Jobs fürchten, für jene, die sich Anpassungsmaßnahmen nicht leisten können, und für alle, die die Klimawende fürchten, weil sie ständig hören, was sie „tun müssen“ — aber kaum, wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit ihr Leben verbessern können.
Unser Aufruf: Weit einsteigen. Mutig sprechen. Gemeinsam gestalten.
In Belém wurde deutlich, dass das Fenster für eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft noch offen steht. Enger, ja. Aber offen. Und ob es sich nun weitet oder schließt, hängt heute weniger von Gipfelerklärungen ab – sondern von dem, was zwischen ihnen passiert.
Die Geschichte hat immer wieder bewiesen: Jede große gesellschaftliche Errungenschaft – ob das Ende von Sklaverei und Apartheid, ob die Rechte von Frauen oder Arbeiter:innen – wurde von unten erkämpft. Regierungen sind selten Innovatoren. Sie reagieren vielmehr auf Druck, auf öffentliche Stimmung, auf das, was sie für den Willen ihrer Wähler:innen halten.
Doch wie können wir weitergehen und unseren politischen "Handabdruck" vergrößern, um Klimaschutz und echten Wandel weiter zu forcieren? Hier unser Appell.
- Raus aus der Blase — echte Brücken bauen.
Verbinden. Zuhören. Nachfragen: Veränderung entsteht, wenn wir unsere Komfortzonen verlassen. Reden wir mit Menschen, die zögern oder die Welt anders sehen. Echte Gespräche bringen uns weiter als jede Echokammer. - Globale Ziele lokal anpacken.
Vor Ort handeln — mit Blick auf die Welt. Plurilaterale Initiativen und Klimaclubs zählen nur, wenn wir sie vor Ort kritisch begleiten und unter Druck halten. Wir können in unseren Lebenswelten mobilisieren, im Job einmischen, Abgeordnete kritisch fragen: Wie wird der Wandel gerecht — und wer wird dabei gehört? - Klimapolitik heißt Gerechtigkeit, Teilhabe und Gestaltungsmacht.
Bestehen wir auf Rechten, Demokratie, Inklusion und Fairness. In der Klimapolitik geht es nicht nur um Emissionskurven und Wissenschaft — es geht um Menschen. Wer profitiert? Wer bleibt außen vor? Eine gerechte Transformation entsteht erst, wenn wir als Bürger:innen sie einfordern. - Nicht auf Held:innen warten — Bewegung sein.
Die großen gesellschaftlichen Fortschritte kommen immer von unten: von Menschen, die sagten „Genug jetzt“. Wenn viele kleine Davids zusammenstehen, fällt selbst der größte Goliath. Werden wir zu Davids. - Neue Institutionen kritisch begleiten — und sie ehrlich halten.
Wenn Klimapolitik vermehrt von "Koalitionen der Willigen" gestaltet wird, sind Transparenz, Verantwortung und Inklusion nötig. Fordern wir Offenheit, klare Regeln und echte Gerechtigkeit — nicht nur glänzende Ankündigungen. Die Zukunft hängt davon ab, dass wir hinschauen.
Hin zu einem neuen Gesellschaftsvertrag — nachhaltig, gerecht, gemeinsam.
Lasst uns Räume für echten Dialog schaffen — und gemeinsam Druck machen. Plurilateralismus muss nicht weniger Demokratie bedeuten, verlangt aber eine neue Form von Demokratie. Eine nachhaltige Zukunft schützt nicht nur die Erde als unser gemeinsames Zuhause. Sie eröffnet auch die Chance auf eine gerechtere, sicherere und inklusivere Welt. Gerade jetzt, nach Belém, müssen wir mehr miteinander sprechen.
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