Wählen, wählen, wählen!!

KLIMASCHUTZ HEISST EUROPA WÄHLEN

Von Nils Fleischmann

Dass die Klimakrise nationale Dimensionen sprengt, ist nichts Neues mehr. Treibhausgasemissionen machen keinen Halt vor Ländergrenzen, ebenso wenig wie Extremwetterereignisse oder das Artensterben. Damit gilt auch die Schlussfolgerung: Grenzüberschreitende Probleme lassen sich nur durch eine kollaborative, grenzüberschreitende Politik lösen.

Trotz dieser offensichtlichen Erkenntnis aber scheint es vielen Staaten oft vorrangig darum zu gehen, ihre Partikularinteressen durchzusetzen oder an überfälligen fossilen Strukturen möglichst lange festzuhalten. Das Klima? Lass es mal die Anderen retten. Diese Haltung ist nicht nur mein persönlicher Eindruck. Sie besorgt viele, darunter vor allem junge Menschen. Vier von fünf Bürger*innen zwischen 16 und 25 Jahren fühlen sich beim Thema Klima mittlerweile von ihren Regierungen verraten, so das Ergebnis einer internationalen Umfrage in zehn Ländern, die im Lancet Planetary Health veröffentlicht wurde.

Europäisch wirksam statt national hoffnungslos
Institutionelle Verbindlichkeiten wie die gemeinsam ausgehandelten Gesetze des Green Deal der Europäischen Union sind in der Klimapolitik deshalb Gold wert. Das EU-Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu mindern und Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, ist zustande gekommen, weil die Mitgliedsstaaten letztlich bereit waren, sich auf gemeinsame Interessen zu verständigen, anstatt weiter vor allem ihr nationales Süppchen zu kochen.

Mit dem Green Deal nimmt die Europäische Union eine Vorreiterrolle im Kampf für mehr Klimaschutz und den Übergang zu einer nachhaltigen europäischen Wirtschaft und Gesellschaft ein. Fakt ist: Wirksamer internationaler Klimaschutz braucht die EU. Deswegen brauchen wir die EU.

Weichenstellung: Weg von der „Verschiebs-auf-morgen“-Taktik
Die Bedeutung der kommenden Europawahlen vom 7. bis zum 9. Juni kann damit kaum überschätzt werden. Sie sind eine Richtungsentscheidung: Wie energisch die EU in den nächsten, für die Erreichung der Pariser Klimaziele kritischen Jahren Klimaschutz betreiben wird, wird von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament abhängen, die bei diesen Wahlen entschieden werden.

Deutlich gemacht hat dies zuletzt die Abstimmung des Europaparlamentes über die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law). Das Gesetz, das Europas Natur ökologisch regenerieren soll, wurde in einem offenen Brief von mehr als 3.000 Klimawissenschaftler*innen unterstützt. Dennoch wurde es nur knapp gegen den massiven Widerstand der Europäischen Volkspartei (EVP) verabschiedet, zu der aus Deutschland auch die Abgeordneten der CDU/CSU zählen.

Rights notice: Photo: IMAGO / ZUMA Wire

Allgemein für Klimaschutz, aber konkret dagegen?
Die Blockade gegen die Verordnung steht exemplarisch für eine Politik, die sich zwar zum Klimaschutz bekennt, dann aber doch regelmäßig einen Grund dagegen findet. Ähnliche Muster gab es in der EU schon mehrfach: Als das EU-Parlament im vergangenen Jahr das Aus für Verbrennermotoren in neuen Autos ab 2035 entscheiden wollte, blockierte die FDP den schon fertig verhandelten Gesetzesentwurf, um in letzter Minute Ausnahmen für E-Fuels durchzusetzen.

Die Gefahr eines klimapolitischen Rückfalls ist real. Wenn ambitionierte Klimapolitik auf EU-Ebene mehr als ein Lippenbekenntnis sein soll, dann ist es wichtig, dass auch die konservativen und liberalen Kräfte im Gesetzgebungsprozess den Klimaschutz als klaren Wählerauftrag verstehen. Ein starkes Votum in den Europawahlen im Juni kann dies leisten.

Gefährliche Allianz: Extrem rechts und Anti-Klima
Erklärte Gegner*innen der ökologischen Transformation sind die rechtskonservativen und extrem rechten Stimmen im Europäischen Parlament. Die deutsche AfD, der französische Rassemblement National oder die niederländische Freiheitspartei (PVV) setzen viel daran, Klimaschutzpolitiken zu sabotieren. Gewinnen sie an Einfluss – ein Szenario, das angesichts jüngster Wahlergebnisse in den Mitgliedsstaaten realistisch ist – , dann wäre dies eine Hiobsbotschaft für die europäischen Klimaschutzziele und somit für eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft heutiger und künftiger Generationen.

Der Weg nach vorne: Wählen, wählen, wählen
Eine Hoffnung gegen dieses Szenario gibt es, und dies ist eine hohe Wahlbeteiligung. Schließlich machen sich mehr als 90 Prozent der Menschen in Europa angesichts der Klimakrise große Sorgen um ihre Zukunft und fast 60 Prozent finden, dass der Übergang zu einer grünen Wirtschaft beschleunigt werden sollte, so das Ergebnis der jüngsten Eurobarometer-Umfrage vom Juli 2023.

Wenn möglichst viele der circa 350 Millionen Wahlberechtigten im Juni bei der Europawahl ihre Stimme abgeben, könnte dies ein starkes Signal für mehr Klimaschutz setzen. Leider aber lag die Beteiligung bei EU-Wahlen in der Vergangenheit immer deutlich unter der von nationalen Wahlen. Bei der Europawahl 2019 wurde zwar eine historisch hohe Wahlbeteiligung gefeiert – und trotzdem ging mit 50,6 Prozent gerade mal jede*r zweite wahlberechtigte Europäer*in an die Wahlurne.

Die EU braucht eine starke demokratische Legitimität, damit sie die großen Krisen unserer Zeit lösen kann. Auch im ständigen Tauziehen zwischen dem Europaparlament und dem Europäischen Rat als Vertretung der nationalen Regierungen wäre eine höhere Wahlbeteiligung ein starkes Pfund für das Parlament, das in den vergangenen Jahren oft die ehrgeizigeren Klimaziele verfolgt hat.

Die Kinder der Parlamentarier*innen
In einer Zeit vielfacher Krisen steht Europa am Scheideweg: Packen wir gemeinsam an für mehr Klimaschutz – oder bleibt es weiter bei einem allgemeinen „Ja”, das oft in ein „Nein“ umschlägt, sobald es um die konkrete Umsetzung der Klimaziele geht? Ein klares Mandat für die klimapolitisch ambitionierten Kräfte in den Europawahlen könnte den dringend notwendigen Aufbruch ermöglichen.

Warum wir das auch brauchen? Das Durchschnittsalter der EU-Parlamentarier*innen – wie übrigens auch das des Bundestages – liegt bei fast 50 Jahren. Ich bin einer von knapp 70 Millionen Menschen in der EU, die noch unter 25 Jahren alt ist. Wir alle könnten die Kinder unserer Parlamentarier*innen sein. Es geht um unsere Zukunft.

Diesen Beitrag teilen: