COP27 – SHarm el-sheikh

Endlich Gerechtigkeit

Trotz Misserfolg: COP27 hat die Klimakrise zu einer Frage des Anstands gemacht

Von Eva-Maria McCormack

Sharm el-Sheikh hat in vielfacher Hinsicht versagt, doch in einer gewonnen: Die Entscheidung für einen Entschädigungsfonds („Loss & Damage“) bedeutet einen Paradigmenwechsel in der internationalen Klimadiplomatie. Erstmals wird das Krisenthema Klima auch als Gerechtigkeitsthema anerkennt. Dies ist signifikant: Die Geschichte zeigt, dass am Beginn großer Transformationen stets sich von unten verändernde Moralvorstellungen standen. Der globale Süden und die Klimabewegung haben diese Diskursverschiebung erreicht – und damit Fenster für Veränderung geöffnet, die sich nicht mehr schließen lassen.

Ja, die Ergebnisse von Sharm el-Sheikh sind in vieler Hinsicht dürftig. Fakt ist auch, dass sie nicht ausreichen im Kampf gegen die Klimakrise, die alle anderen Krisen um ein Vielfaches übersteigt und uns als Menschheit bedroht.

Kein Fortschritt der Ambition im Auslaufen von Kohlekraft. Nicht einmal Klarheit zur Schädlichkeit auch von Gas, geschweige denn eine Verpflichtung zu seinem Ende. Kein Wort zu Methan. Ein Rückfall hinter Glasgow wurde beim 1,5-Grad Ziel zwar verhindert, doch eine Resolution für einen Emissionspeak 2025 schaffte es nicht ins Abschlussdokument. In vieler Hinsicht hat die ägyptische COP-Präsidentschaft von Sameh Shoukry versagt. In mancher Hinsicht geriet der Klimagipfel sogar zum Gasgipfel: Die Präsenz von fast 700 Gaslobbyisten und die Unterzeichnung von weiteren Gasausbauverträgen beweisen, dass Kurzfristdenken und schnelles Geschäft einmal mehr die Oberhand gewannen.

Der Sieg des Südens

Und dennoch ist dieser Gipfel historisch, denn die Einigung auf einen Klimaentschädigungsfonds („Loss & Damage“) schafft nicht nur ein Finanzinstrument, das den Ländern des globalen Südens – hoffentlich – helfen wird, Klimaschäden zu begrenzen. Dass das Thema Entschädigung für Klimafolgen nach 30 Jahren vergeblicher Rufe seitens der armen Länder endlich die Ebene der obersten Klimadiplomatie erreicht hat, stellt auch einen Paradigmenwechsel im internationalen Umgang mit der Klimakrise dar.

Die Frage der Gerechtigkeit hat endlich die Entscheiderebene in der internationalen Klimadebatte erreicht: Die zentrale Frage, wie das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann, bekommt mit der Einigung auf einen Entschädigungsfonds zum ersten Mal auch eine moralische Dimension. Der globale Norden übernimmt damit endlich Verantwortung für den Schaden, den er als größter Emittent und somit historischer Verursacher der Klimakrise dem globalen Süden verursacht hat.

Warum moralische Revolutionen wichtig sind

Man mag fragen, ja und was bringt das?

Es bringt – vielleicht – alles. Die Klimakrise erfordert eine systemische Transformation. Wird diese nur als ein Riesenbündel von Einzelmaßnahmen in den unterschiedlichsten Sektoren angegangen, wird sie nicht die Zugkraft und Dringlichkeit entfalten können, die ein Wandel dieses Ausmaßes braucht: Die Klimawende betrifft nicht nur alle Menschen, sie muss letztlich auch alle mitziehen.

Die Geschichte zeigt, dass große Transformationen möglich sind. Doch sie zeigt auch, dass sie stets mit diskursiven Veränderungen begannen: Das Ende der Sklaverei hatte seinen Anfang in den moralischen Bedenken einzelner, dann vieler, über die Brutalität des Systems. Das Frauenwahlrecht erwuchs aus veränderten Vorstellungen über die Rolle von Frauen. Die Rassentrennung in den USA wurde zuerst in Köpfen beendet, bevor die Politik mit Gesetzesänderungen auf den Druck der Bürgerrechtsbewegung reagierte.

So gesehen, ist die Entscheidung für „Loss & Damage“ ein historischer Schritt. Sie hat – endlich – auf oberster klimadiplomatischer Ebene eine Tür geöffnet, die nicht mehr geschlossen werden kann. Das ist ein großer Gewinn für den globalen Süden und deren Vertreter:innen wie Mia Mottley, die Premierministerin von Barbados, die den Entschädigungsfonds in Sharm el-Sheikh als „ein Anliegen der Gerechtigkeit und Moral“ postulierte.

Mia Mottley, Prime Minister of Barbados, speaking at COP27 © UNFCCC

Veränderung entsteht von unten

Transformationsforscher wie Kwame Anthony Appiah haben die Abläufe moralischer Transformationen in der Geschichte im Detail erkundet: Auf wachsende soziale Bewegungen reagieren die Kräfte bestehender Systeme erst mit Verdrängung, dann mit langsamer Anerkennung, verbunden aber mit Erwägungen, die Systemveränderung zunächst noch abwehren: „Zu teuer, zu komplex, zu langwierig etc. etc.“ Auch die internationale Reaktion auf die Klimakrise ist diesen Mustern bisher geradezu schulbuchhaft gefolgt.

Nur gesellschaftlicher Druck durch sich von unten verändernde Moralvorstellungen forciert letztlich die Veränderung auch auf gesetzgeberischer und gesamtgesellschaftlicher Ebene, so die Transformationsforschung.

Courage: Dranbleiben ist nun gefragt

Die Mia Mottleys des globalen Südens haben diese Fenster für Veränderung geöffnet, zusammen mit den Vertreter:innen der Klimabewegung in den Vorhallen des Klimagipfels. Dass es die EU war, die mit ihrem Vorschlag einer Erweiterung der Geberländer die verhärteten Fronten sowohl des Globalen Nordens wie auch des Globalen Südens aufbrach, zeigt den ersten Erfolg dieses moralischen Umbruchs auch auf Seiten der Verursacher des Klimawandels. Ins Wanken brachte es auch die USA, noch Tage vor dem Klimagipfel ein strikter Gegner von „Loss & Damage“.

Was das auch sagt: Dranbleiben lohnt sich. Bürger:innen und Zivilgesellschaft sind der Politik voraus, doch Veränderung ist möglich. Wir dürfen uns von den Misserfolgen des Gipfels nicht entmutigen lassen, auch wenn die Zeit immer enger wird.

Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht von Philea.

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